Julian Hofmann

Unterwegs beim SPIELART

Alles echt beim Wrestling (?)

KAMPF UM DIE STADT – Eine Wrestlingshow von Julian Warner und Veronika Maurer       

Wer plant einen Theaterabend und findet sich dann in einer Halle mit einem Wrestling-Ring in der Mitte wieder? Zuschauerränge an allen vier Seiten, Musik von einer DJane, Lichtshow, Cheerleader und echte Wrestler. Bei manchen löst das vielleicht Erinnerungen an die Kindheit aus, an Abende mit WWE und die Überzeugung, dass ganz sicher alles echt ist. Andere verbinden damit vielleicht gar nichts, oder eher die Frage, was so etwas ‚im Theater‘ verloren hat.

Beim Wrestling geht es um die Geschichten der Kämpfer, das Drama zwischen ihnen, große Reden und Konflikte, die schließlich in choreografierten Showkämpfen ausgetragen werden. Und dann gibt es noch das Publikum, das heiß darauf ist all das zu sehen.

 

Die Saalsprecherin eröffnet die große Show zum Auftakt des SPIELART Theaterfestivals 2023 und sorgt direkt zu Beginn beim Publikum für Stimmung. Sie lädt es dazu ein und fordert es dazu auf an diesem Abend einfach loszulassen, den Emotionen freien Lauf zu lassen. Im Ring tritt „Kleine Leute“ an, Zuschauerliebling und Underdog im Kampf um eine bezahlbare Wohnung in München. Aus Giesing und ein echter Sechziger, von der Gentrifizierung bedroht, muss er sich neben „kaufkräftigen Hipstern“ und der „raffgierigen Vermieterin“ vielen weiteren Gegnern stellen und einige Prügel einstecken. Auch „die Stadt“ kann nicht viel gegen sie ausrichten und so verbünden sich „kleine Leute“ und „die Stadt“, um den finalen Kampf gemeinsam auszutragen.

 

Aber was haben Theater, die Wohnungssuche in München und Wrestling eigentlich miteinander zu tun?

Wrestling und die Wohnungssuche in München haben beide ihre eigenen Regeln und laufen meistens erwartungsgemäß ab. Wer eine Wohnung sucht, braucht Geld oder kennt jemanden der jemanden kennt. Wer eine Wohnung findet, freut sich darüber und bleibt am besten so lange drin, wie es geht. Wenn die Preise dafür steigen, hat man entweder Geld und bleibt, oder Pech und geht. Beim Wrestling gibt es Lieblinge, Gewinner, Rückschläge und, wie gesagt, Drama. Und Klassiker wie Klappstühle und Leitern dürfen auch nicht fehlen. Alles ist geplant, vorher ausgemacht und der Ausgang steht fest.

 

Was kann Theater daraus machen?

 

„Im KAMPF UM DIE STADT wird aus Kulturkampf wieder Klassenkampf“. So steht es in der Beschreibung zum Programm von SPIELART. Dabei spielt es mit der stetigen Spannung zwischen dem Echten und dem Unechten, dem Realen und dem Fiktiven. Das zeigt sich als erstes am gesamten Konzept. Wrestling ist reine Show, die Wohnungssuche in einer Großstadt für viele ein sehr drängendes Problem. Auch während der Aufführung kommt dieses Verhältnis immer wieder zum Vorschein. Jeder kann von seinem Platz aus verfolgen was passiert, hat alles im Blick. Parallel dazu begleiten zwei Kameramänner das Geschehen. Diese Aufnahmen werden auf große Bildschirme über dem Ring übertragen. Sie zeigen nur Ausschnitte, nicht das Gesamtbild und können so die Wahrnehmung beeinflussen. Was aus der eigenen Perspektive meistens als klarer „fake Kampf“ auszumachen ist, schaffen die Kameras und Bildschirme als harten Kampf und echte Schläge darzustellen.

 

Das Wichtigste an diesem Abend ist allerdings das Publikum. Das Publikum und seine Gefühle, die es zeigt. Ist es überhaupt ein echtes Theaterpublikum oder doch eher ein falsches Wrestlingpublikum? Das Jubeln und Buhen der Wrestlingfans wird immer wieder angeleitet von der Saalsprecherin, geradezu gefordert. Aber sind es die Wrestlingfans die ihre Begeisterung und Unterstützung für „kleine Leute“ zeigen, der gerade im Kampf am Zug ist? Oder ist es vielleicht doch eher ein Theaterpublikum, das artig mitmacht, um an der Performance teilzunehmen? Wahrscheinlich werden manche ihren echten Ärger los, wenn sie „die Vermieterin“ ausbuhen, die gerade dabei ist „kleine Leute“ aus der Wohnung zu werfen. Es wirkt in dieser Menge noch nicht einmal absurd, lassen sie ihren Ärger doch an einer Showkämpferin aus. Besonders in den Leerstellen zeigt sich die Spannung zwischen dem Theater- und dem Wrestlingpublikum. Wo während eines Kampfes eine tosende Menge um den Ring verteilt sein sollte, begeistert von dem Schlagabtausch, ist oft Stille bei den Zuschauern. Manchmal geht ein Raunen durch die Reihen, wenn ein Stunt besonders halsbrecherisch aussieht, mehr aber nicht. Hier tritt das in dieser Situation etwas hilflose intellektuelle Theaterpublikum vor die berauschte Masse der Wrestlingfans, die sonst immer wieder heraussticht.

Trotzdem schafft es die Saalsprecherin nicht nur einmal die Zuschauer aus ihrer Passivität zu reißen. Vielleicht baut sich über die 2 ½ Stunden des Spektakels in den Reihen auch eine gewisse Gefühlslage auf, eventuell eine Verantwortung „kleine Leute“ anzufeuern und unterstützen zu müssen. Der Schiedsrichter als Unparteiischer im Ring wird immer wieder angegangen und schließlich auch in den Kampf verwickelt. Die Zuschauer sind manchmal die Einzigen, die richten können. Die Verpflichtung wird ihnen zugeschoben. Was macht das über diese Zeit mit und aus ihnen? Das Zusammenspiel aus diesen verschiedenen Aspekten mündet in einer immer stärker werdenden Parteilichkeit für „kleine Leute“, der verzweifelt ist, eine Wohnung zu finden. Sie geht schließlich sogar über seine Aussage hinaus, warum er keine Wohnung finde, obwohl er doch Deutscher sei. Dieser Satz wurde von den Meisten bestimmt nicht überhört. Allerdings blieb er recht unreflektiert stehen, zu merken an den weiteren Sympathien und dem Jubel über „kleine Leute“ in seinem weiteren Kampf in der Wohnungsnot.

 

Am Ende des Ganzen stehen „kleine Leute“ und „die Stadt“ mit vereinten Kräften gegen die ‚Bösen‘ des Abends. Sie kämpfen zusammen, helfen sich einander und können schlussendlich einen Sieg davontragen, gefeiert von den Zuschauern. Auch hier treten noch einmal Realität und Fiktion nebeneinander, ist es wohl in der aktuellen Situation eher weniger vorstellbar, dass „kleine Leute“ gegen Immobilienkonzerne antreten und gewinnen können. Trotzdem fühlt sich die Stimmung am Schluss der Aufführung danach an. Auch wenn beim Wrestling von Anfang an klar ist, wer gewinnt, scheint das Publikum darüber entschieden zu haben, wer an diesem Abend triumphiert.