Maria Haupt

Unterwegs beim SPIELART

"D̶A̶R̶K̶MATTER – ein performatives Tanzerlebnis" und "Was Wrestling, Sticken und Fingerfarbe gemeinsam haben "

D̶A̶R̶K̶MATTER – ein performatives Tanzerlebnis

 

Wir stehen vor den noch geschlossenen Türen der Muffathalle; alle, nach fast zwei Wochen SPIELART Festivals, schon etwas müde. Vor allem über die zuvor angesehene Performance „KULTUUR“ wird sich sehr angeregt unterhalten. Die Meinungen sind zwiegespalten. Wir werden unterbrochen, weil an alle Besucher:innen Ohrenschutz verteilt wird, mit der Warnung, es könne laut werden. Etwas verunsichert betreten wir den Raum. Als erstes sticht das minimalistische aber eindrucksvolle Bühnenbild ins Auge. Weiße, unten in schwarze Farbe getauchte Papierstreifen bilden zusammen mit dem weiß ausgelegten Boden eine große Leinwand; später wird darauf mit schwarzer Farbe impulsiv ein eindrucksvolles Gemälde entstehen. Hohe Kontraste, ein kühles, aber sehr effizientes Lichtdesign – das Team von D̶A̶R̶K̶MATTER, allen voran Cherish Menzo, schafft es, mit wenigen Materialien ein sehr großartiges Bühnendesign zu entwerfen. Die beiden Performer*innen Camilo Majía Cortés und Menzo selbst, ganz in schwarz gekleidet mit einer silber-glänzenden Maske, sind schon auf der Bühne. Als es dann losgeht, wird es wirklich laut: Entzerrte, verlangsamte Hip-Hop-Rythmen bestimmen Menzos fast schon hypnotische Choreografie, die passend zum Namen (dt.: Dunkle Materie) an etwas außerweltliches erinnert. Eindrucksvoll futuristisch choreografiert schafft D̶A̶R̶K̶MATTER es, die Körperhaftigkeit zu hinterfragen und den Körper aus der eigenen Wirklichkeit herauszulösen. Gegen Ende hin spielt auch hier natürlich Nacktheit eine Rolle. Menzo und Cortés gleiten wie auf Eis durch die schwarze Farbe und gestalten so ein improvisiertes Gemälde, das dem Rahmen der Performance einen schlüssigen Abschluss gibt. Für mich nach allem, was bereits auf der Bühne passiert ist, wenig überraschend und durchaus logisch, die Reihe hinter mir hatte damit mehr zu kämpfen. Auch nach der Vorstellung ist für sie die Frage des Abends nur, weshalb man sich denn heutzutage immer auf Zwang nackt auf der Bühne zeigen muss. Ich muss über diese Aussagen schmunzeln. Vielleicht bin ich auch einfach schon abgehärtet, vielleicht ist es aber auch mein Blick auf den (nackten) Körper, der sich geändert hat. Ich verbinde Nacktheit auf der Bühne nicht mehr als etwas Sexualisiertes, sondern fast schon als etwas Neutrales, das vor allem in dieser Performance durch seine Selbstverständlichkeit rein natürlich wirkt. Gelinde gesagt ist es mir quasi fast nicht aufgefallen und ich denke prinzipiell muss es auch den Zuschauer*innen hinter mir gut gefallen haben, wenn dieser Punkt der einzige war, den sie zu kritisieren hatten, was man auch an dem langanhaltenden Applaus merkt. Auch ich gehe nach der vorhergegangenen Aufführung wieder versöhnt mit der Performancekunst, nachdenklichen, aber mit einem über das Bühnendesign und die Choreografie sehr positiv überraschtem Gefühl nach Hause. D̶A̶R̶K̶MATTER stach für mich, nach der bereits vorhergegangenen Flut verschiedenster Aufführungen, wirklich heraus.

 

 

Was Wrestling, Sticken und Fingerfarbe gemeinsam haben

 

Was vielleicht zuerst nach einem unterhaltsamen Kindergeburtstag klingen mag, zeugt in diesem Kontext vielmehr von großer Kunst. Das SPIELART Theaterfestival bewegt sich spielerisch zwischen Unterhaltung, Bildung und kunstvollem Geschehen und zeigt dadurch eine große Vielfalt an Geschichten, Akteur*innen und Schauplätzen; ich durfte es mit einer Exkursion aus der Uni besuchen. Mittlerweile ist das Ende in Sicht und ich blicke mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück. Lachend, weil ich während diesen zwei vollgepackten Wochen einiges Neues über verschiedenen Kulturen, Kunstweisen und Inszenierungstechniken gelernt habe - und seien wir ehrlich, wir alle freuen uns auch wieder auf ein bisschen mehr Freizeit - weinend, nun ja, weil diese sehr intensive Zeit vorbei geht. Ich bin zu Beginn relativ erwartungslos und fast skeptisch in diese erlebnisreichen Wochen gestartet, mein einziges Ziel war, mich danach mehr auf postdramatisches und performatives Theater einlassen zu können. Vor allem vor den Performances hatte ich eine gewisse Ehrfurcht und war deswegen froh, dass wir zu Beginn nicht gleich ins kalte Wasser geschmissen wurden und erst einmal mit postdramatischem Theater konfrontiert wurden. Mittlerweile habe ich aber auch meine ersten Performances hinter mir, so richtig Lehrbuch-gerecht mit Interaktion, Auflösung der vierten Wand und fließenden Grenzen zwischen Aufführung und Realität – Erika Fischer-Lichte wäre stolz auf mich. Und auch wenn ich mir noch nicht ganz sicher bin, ob das Konzept Performance wirklich etwas für mich ist, habe ich es in seiner Kunstform zu schätzen gelernt. Obwohl es mich immer noch ein bisschen stresst, nicht zu wissen, was als nächstes passiert, nicht zu wissen, ob man vielleicht interagieren muss, angefasst zu werden, habe ich große Achtung vor allem vor den Performer*innen, die, so wirkt es zumindest, ihre ganze Seele und Leidenschaft in diese Aufführung stecken. Auch wenn das vielleicht heißt, sich dabei physisch, aber auch psychisch zu entblößen und Verletzungen, in doppeltem Sinne, zuzulassen. Im „klassischen“ Theater erlebt man solche Hingabe eher seltener. Schauspieler*innen haben eine gewisse Distanz zur Rolle, sind emotional häufig nicht so eingebunden, schließlich ist Rolle und eigene Person nicht eins. Man kann sich nach der Probe leicht der Figur, die man gerade spielt, abwenden. Und obwohl ich mich in einem Theaterumfeld, dass eine klare Trennung zwischen Realität und Erzählung hat, also auch einen Raum, in dem ich mich sicher fühlen kann, dass ich nicht interagieren, nichts entscheiden muss, immer noch deutlich wohler fühle, ist vielleicht genau diese emotionale Hingabe, dieses vollkommene Eintauchen und kompromisslose Sein, was mich an Performances so stark fasziniert. In einem Gespräch mit einem der Regisseure wurden wir gefragt, was wir an Theater denn so lieben. Und für mich ist es denke ich genau diese Dualität, dass man mit Theater eben Fiktionen erzählen kann, die die Zuschauer für einen Augenblick in eine andere Welt transportieren. Man kann Wahrheiten schaffen, dem Publikum für einen kleinen Augenblick eine Pause von den Weltgeschehnissen geben und für kurze Zeit eine Ausflucht aus der Realität schaffen. Man kann und sollte aber auch das Gegenteil bewirken: reale, wichtige Probleme adressieren und auf die Bühne bringen, Theater hat schließlich einen Bildungsauftrag. Das SPIELART Festival hat dies in einem Rahmen geschafft, in dem nicht die moralische Keule geschwungen wurde, sondern ganz einfach durchs Geschichten-Erzählen. Geschichten, die oftmals wahr und dadurch noch viel erschütternder waren, die auf leise Weise das Publikum berührten und so zum Nachdenken anregen. Die Geschichten haben zumindest mich dazu herausgefordert, mal wieder über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und zu realisieren, dass die eigenen Probleme vielleicht doch nicht so relevant sind, wie das, was gerade in anderen Teilen der Welt so schiefläuft. Man könnte jetzt natürlich auch meinen, dass man nach jeder Vorstellung mehr und mehr im Pessimismus versinkt, aber dem ist nicht so. Man wurde zwar vielleicht wieder etwas wachgerüttelt, doch vor allem nach zahlreichen Gesprächen mit Personen aus verschiedenen Ländern merke ich, dass der Funke Hoffnung doch noch nicht erloschen ist. Und gerade dieses Kunststück, ein gesellschaftliches Problem anzusprechen und dadurch an Hoffnung auf Änderung zu appellieren, ohne jedoch die Drastik der Probleme herunterzuspielen, ist eine Challenge, die dem SPIELART Festival in sehr subtiler Weise gelingt.